Es gilt als ziemlich sicher, dass Autoren nach einem Erfolgsbuch nur zwei Arten von Nachfolgewerken schreiben können: eins, das im Prinzip das gleiche Buch ist wie der hochgelobte Vorgänger oder eins, mit dem der/die Autor/in scheitert, weil es die Leserschaft nicht wie gewünscht erreicht (sei es, weil es einfach schlecht ist – sei es, weil es einfach zu gut ist). Im schlimmsten Fall hat sie/er ihr/sein Innerstes nach Außen gekehrt und viel von sich preisgegeben, um nun Opfer von allerlei Häme zu werden.
So sehr sich Autoren wünschen mögen, einmal das eine, das Super-Buch zu schreiben (und dieses auch als solches gelesen, besprochen und verkauft zu erleben), so sehr wird es auch zum Fluch, nach all den Interviews, Lesereisen, Huldigungen und Preisverleihungen an den Schreibtisch zurückzukehren. Der Verlag drängelt, die Journalisten fragen, die Leser bitten – was tun schreiben? Wo es doch komplett aussichtslos ist, ein weiteres derart erfolgreiches Buch schreiben zu können?
Daniel Kehlmanns Rezept für den nötigen Befreiungsschlag scheint in einem handwerklich einwandfreien Folgewerk zu bestehen, in das er jedoch zu interessanten Themen und allerlei Doppelbödigkeit auch eine enorme Distanz zwischen sich und seine Leser/innen einkocht. Man nehme also allerhand Ironie, eine Prise Kulturpessimismus, reichlich Fiktion in der Fiktion und als Sahnehäubchen die Figur eines fiktiven Schriftstellers, der –oho!– eigentlicher Urheber einiger dieser Geschichten ist und natürlich –aha-! wenig mit dem Autoren zu tun hat, dessen Name ziemlich groß auf dem Cover steht. Nach dem Umrühren und Abschmecken mit etwas Humor (gern auch aus der Tüte) ist „Ruhm“ fertig.
Nur schmecken mag mir dieser Eintopf nicht.
Dabei ist der „Roman in neun Geschichten“ voller spannender (Alltags-)Situationen. Hier ein Bestsellerautor (für Lebenshilfe-Bücher!) in ernsthafter Sinnkrise und da ein berühmter Schauspieler mit Identitätsproblem, dort eine in Asien verloren gegangene Krimi-Autorin mit stark nachlassendem Handy-Akku und eine Sterbehilfe-Suchende, die sich direkt an ihren Schöpfer wendet, gibt es auch. Und den unvermeidlichen Nerd, der –natürlich!– übergewichtig ist und schrecklich langweilig lebt, sich aber in den Foren des weltweiten Netzes traut, mal so richtig auszuteilen.
Allein interessieren tun sie mich alle nicht. Weil die Distanz des Autors zu groß zu ihnen ist, dass auch ich ihnen nicht nah komme. Weil ich statt Verletzlichkeit, Brüchen oder Temperament mal Selbstmitleid und mal Sarkasmus geboten bekomme. Weil ich wenig Liebenswürdiges oder Abstoßendes erkennen kann, eher Neutralität und Gleichgültigkeit. Mir fehlen die Zwischentöne, das Spielerische, Farbenfrohe, die Oberfläche zerkratzen wollende. Statt dessen verpetzt der Autor seine Figuren, indem er sie übermäßig katalogisiert und vorführt.
Hinzu kommen herbei geschwurbelte (und mitunter reichlich billige) Pointen. Plus mechanisch eingestreute Running-Gags und Zitate. Und das oft unmotiviert daherkommende Verweben der Geschichten untereinander. Dafür reicht es dann manchmal schon, dass Figuren der einen Geschichte an einem Plakat mit einer Figur aus einer anderen Geschichte vorbeikommen. Das schmeckt allzu sehr nach Handwerk und zu wenig nach wirklicher Virtuosität. Es kommt bei mir nur als sehr offensichtliches Konstrukt an – nicht originell, nur harmlos. Das Handwerk steht so aufdringlich im Vordergrund, dass die Doppelbödigkeit zum reinen Werkzeug wird, nicht mehr faszinieren kann und die Geschichte geradezu aseptisch anmuten lässt.
Und dann noch das große Thema Kommunikationstechnologie! Fast krampfhaft und allzu vordergründig muss immer noch mal irgendwo nach einem „Mobiltelefon“ gegriffen werden – man sollte beim Lesen ein Trinkspiel draus machen. Dabei könnte man wirklich einmal wunderbar zu analysieren versuchen, wie sehr Mails und Handys unsere Leben beeinflussen, wie unüberlegt wir sie oft einsetzen und wie stark wir uns ihnen ausliefern. Ohne Zweifel gehört das zu den interessantesten Fragen unserer Zeit. In „Ruhm“ wird diese Fragen betreffend jedoch allenfalls an der Oberfläche gekratzt. Dabei habe ich von einem Autoren mit Kehlmanns Intelligenz mehr erwartet.
Nun mag es ja legitim sein, sich dem Fluch des Nachfolge-Buches auf diese Weise entziehen zu wollen. Enttäuscht bin ich trotzdem. Denn „Ruhm“ hat für mich keinen Mehrwert, das Buch hat mich nicht beschäftigt, herausgefordert oder sonst irgendwie beeindruckt. Realität oder Fiktion? – Es interessiert mich nicht.
dazu hören: „the telephone call“ von kraftwerk (youtube)
dazu ansehen: Promo-clip zum Buch