„Handwerk hat doppelten Boden“ -Daniel Kehlmann: RUHM

ruhm1Es gilt als ziemlich sicher, dass Autoren nach einem Erfolgsbuch nur zwei Arten von Nachfolgewerken schreiben können: eins, das im Prinzip das gleiche Buch ist wie der hochgelobte Vorgänger oder eins, mit dem der/die Autor/in scheitert, weil es die Leserschaft nicht wie gewünscht erreicht (sei es, weil es einfach schlecht ist – sei es, weil es einfach zu gut ist). Im schlimmsten Fall hat sie/er ihr/sein Innerstes nach Außen gekehrt und viel von sich preisgegeben, um nun Opfer von allerlei Häme zu werden.

So sehr sich Autoren wünschen mögen, einmal das eine, das Super-Buch zu schreiben (und dieses auch als solches gelesen, besprochen und verkauft zu erleben), so sehr wird es auch zum Fluch, nach all den Interviews, Lesereisen, Huldigungen und Preisverleihungen an den Schreibtisch zurückzukehren. Der Verlag drängelt, die Journalisten fragen, die Leser bitten – was tun schreiben? Wo es doch komplett aussichtslos ist, ein weiteres derart erfolgreiches Buch schreiben zu können?

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Joan Didion: Das Jahr magischen Denkens

„Das Jahr magischen Denkens“ beginnt damit, dass John Gregory Dunne, der Mann, mit dem die Journalistin und Autorin Joan Didion seit 40 Jahren verheiratet ist, in der gemeinsamen Wohnung stirbt. Schon seit längerer Zeit hat er mit Herzproblemen gekämpft; dennoch fühlt sich die Autorin von seinem Tod komplett überrascht und aus der Bahn geworfen. In dem Buch beschreibt sie, wie aus dieser Erschütterung im Jahr danach nur sehr zögernd Akzeptanz wird.

Zunächst einmal lese ich sehr persönliche, direkte und dadurch eindringliche Schilderungen ihrer Trauer. Es sind Beschreibungen grotesker und hilfloser (aber letztlich vielen Trauernden vertrauter) Gedanken und Darstellungen des langen Weges zum allmählichen Loslassen. Ich bekomme die Wellen des Schmerzes beschrieben, die mir noch plastischer werden, wenn Didion anhand von Anekdoten illustriert, wie nah sich die beiden standen, wie symbiotisch und aufrichtig ihre Beziehung war. Weiterlesen

Miranda July: No One Belongs Here More Than You.

Es ist schon manchmal verrückt, wie der Mensch funktioniert. Mal angenommen, ich eile durch die hektisierenden Einkaufsstraßen einer Großstadt und versuche, alles Wichtige im Kopf zu behalten, das es hier und jetzt unbedingt zu erledigen gilt. Bis plötzlich eine sehr nackte Frau vor mir steht, die mit lautem Geschrei Farbeimer über ihrem Kopf auskippt, mit einer Kettensäge herumfuchtelt, Feuer spuckt, sich dann mit wütendem Gesang auf dem Boden wälzt und mit all dem um Aufmerksamkeit buhlt. Vielleicht schmunzelnd, vielleicht schulterzuckend werde ich an dieser Situation vorbei gehen und sie sofort wieder vergessen haben. Nicht, weil ich etwas gegen diese Art von Performance-Kunst habe, sondern weil mir das zu bunt, zu laut und zu pathetisch ist, wodurch ich das Gefühl habe, dass das alles rein gar nichts mit meinem Leben zu tun hat.

Was aber, wenn die Frau keine Kettensäge und keine Wut mitgebracht hat? Was, wenn sie Feuer und Farbe, wenn sie alles Lärmende, Aufdringliche und Demonstrative für unnötig gehalten hätte? Wenn sie mich stattdessen schweigend, aber gründlich angesehen hätte? DIREKT INS AUGE? Zwar hätte ich wohl dennoch weiter gehen können. Aber ich bin sicher, dass es mir viel abverlangt hätte, ihrem Blick standzuhalten, dass sie mich irritiert hätte und noch eine ganze Weile beschäftigt.

So bin ich auch wenn es um Erzählungen geht: das Plakative lässt mich kalt. Richtig nah an mich ran kommt nur das Leise.

Auch Miranda July hat sich mit Performance-Kunst einen Namen gemacht – allerdings selten laut, dafür meistens deutlich. In ihrem Spielfilm „Me And You And Everyone We Know“ (2005) verwebt sie hintergründige Geschichten von leicht schrulligen Normalos auf der Suche nach Liebe. Und mit ihrem ersten Kurzgeschichtenband bleibt sie den leisen Tönen treu. „No one belongs here more than you.“ (2007)hier von der Autorin selbst vorgestellt) (dt.:Zehn Wahrheiten“) fordert seine Leser heraus, ohne diese durch dabei angewandten Übereifer zu verschrecken. Miranda July bietet ihnen wie jede/r gute Autor/in hinter jeder Geschichte viel Platz und Anstoß zur Selbstreflektion, überlässt es ihnen aber selbst, ob sie diesen Weg wirklich gehen wollen. So könnte man sich natürlich auch einfach zurücklehnen, um die Figuren dieser kurzen Erzählungen als schrullig, bedauernswert und einsam zu betrachten, um ihre Eigenheiten zu belächeln oder darüber die Nase zu rümpfen. Oder man lässt ein bisschen Grübelei zu und fragt sich, wie nah man unter der Oberfläche doch eigentlich selbst dran ist an all dieser Kauzigkeit, Verunsicherung und Suche nach Liebe.

In jeder der 16 Geschichten erlebt man skizzierte Figuren in skizzierten Situationen, die allerlei Vergangenheit mit sich rumschleppen. Meist sind sie mitten in den Dreißigern, aber noch nirgendwo richtig angekommen. Mal sorgt man sich um sie, mal wird man von ihnen überrascht. Oft benehmen sie sich eigenartig, aber immer glaubt man zu ahnen, warum. Sie sind keine ach so guten oder schlechten Menschen, weder Helden, die einfach alles schaffen, noch kann man sie „Looser“ nennen oder komplett Gescheiterte. Sie sind Menschen, die vielleicht zu viel allein sind, die zu viel nachdenken und Sicherheit suchen. Denn dass das mit den Gefühlen immer absolut schillernd und großartig und perfekt zu sein hat und das mit dem Sex sowieso bekommen wir von der Pop-Kultur doch täglich aufgedrängt, wodurch ein vielfaches Scheitern an diesen Maßstäben im Grunde für jede/n unausweichlich ist. Damit kommt der eine gut zurecht, der andere eben weniger.

So werden in „It Was Romance“/“Es war Romantik“ Kursteilnehmerinnen dabei beschrieben, wie sie lernen wollen, romantischer zu sein, ungewöhnlicherweise in einem Samstagslehrgang voller entsprechender Übungen und Mantras. Bis in der Pause deren Einsamkeit offensichtlich wird und die Unbeholfenheit im Umgang mit sich selbst und anderen. Alles mündet in einem wirklich rührenden Moment, der wiederum von reichlich unbeholfenem Schmerz umgeben ist. Was genau das Ergebnis dieser Szene für deren zwei Hauptpersonen ist, muss dabei am Ende meinen Ahnungen als Leser/in überlassen bleiben.

Die Sprache erscheint mir ausgefeilt und doch unbemüht und frei von krampfhaft erzeugter Symbolik. Mal sehr direkt, mal voller Poesie. Ohne ironische Distanz, ohne peinliches Pathos. Und irgendwie ist alles klein: die Sätze, die Leute, die Dramen. Erst dahinter schimmert dann das Große, was diese Geschichten so unglaublich gut macht.

Aber auch anstrengend. So muss ich zugeben, dass mich diese Lektüre irgendwie erschöpft hat, dass ich immer mal wieder Pausen brauchte zwischen den einzelnen Erzählungen. Und nein, gute Laune habe ich nicht bekommen vom Lesen in diesem Buch, aber auch nicht deren Gegenteil. Vielmehr empfand ich –neben einer nachdenklichen Aufgewühltheit – durchaus auch ein Gefühl tiefer Zufriedenheit, weil ich fand, etwas wirklich Großartiges gelesen zu haben.

Auch weil die Autorin in Mikro-Details noch Dramatisches zeigen kann. Weil der Humor nie flach ist oder auf Kosten der Figuren. Und weil ich am Ende immer wieder Hoffnung mitschwingen zu spüren glaube.

Und noch ein wunderbares Gefühl bleibt: hier wird niemand karikiert und verraten. Hier wird nicht geurteilt und nicht bewertet – nicht über die Protagonisten und auch nicht über die Leser. Vielmehr weht eine Zärtlichkeit durch die Zeilen, die den Blick direkt ins Auge (und deren Wirkung dicht dahinter) erträglich macht.

  • dazu hören: „In The End“ von Scott Matthew (youtube)
  • dazu ansehen: Miranda Julys Website

Knut Hamsun: Rosa

Ich hätte dieses merkwürdige Buch nie in die Hand genommen, wenn ich meine jüngste Tochter nicht Rosa genannt und von Freunden zur Geburt dieses Buch geschenkt bekommen hätte.

Ich bin kein Knut-Hamsun-Kenner, aber trotzdem las ich das Buch mit Vergnügen, freute mich darüber, dass „Rosa“ als eine geheimnisvolle, begehrenswerte Frau geschildert wird und resümierte schließlich mit einem Satz die Rezeption: „Eine wilde Geschichte.“

Schauplatz ist eine Hafenstadt Norwegens. Student Parelius ist auf dem Weg zu seinem Studiengefährten Munken Vendt (Hamsun-Kennern wird Vendt aus vorherigen Romanen bereits ein Begriff sein). Er will mit ihm auf Jagd gehen. Auf dem Weg dorthin kehrt er im Hause Benoni (auch hier trifft man auf eine bekannte Hamsun-Figur) ein. Benoni bittet Parelius, einige Bilder von seinem Anwesen zu malen. Der Student erklärt sich bereit und nimmt seine Arbeit auf. Kurz darauf begegnet er Rosa, eine geheimnisvolle Gestalt, die ihn sofort in seinen Bann zieht. Nach und nach bekommt er heraus, dass Rosa mit Benoni verlobt war, diese Verbindung aber zugunsten eines anderen gelöst hat. Der Andere, Nikolai, ist nun tot, heißt es, Rosa kommt zurück und Benonis Werben beginnt aufs Neue.

Rosa erzählt vier große Geschichten. Nennen wir die Erste davon „Das Gewissen“. Um Rosa zurück zu gewinnen, streuen die beiden Herren der Stadt (Benoni und Maack) das Gerücht, Rosas Mann sei ums Leben gekommen. Rosa glaubt es und verheiratet sich neu. Doch da gibt es einen, dessen Besuche sie heimsuchen und Schlechtes bringen. Sein Name ist Gilbert. Er erzählt ihr, dass Nikolai noch am Leben ist und sie in Sünde lebt.
Die zweite Geschichte ist die des Aufstiegs. Benoni kauft eine Silbermine und ist dadurch binnen kürzester Zeit ein gemachter Mann. Er kann es jetzt sogar mit Maack aufnehmen, dem alteingesessenen Herrscher über Stadt und Leute. Eindrücklich schildert Hamsun, wie gewöhnungsbedürftig es ist, wenn Geld und „Pöbel“ zusammen kommen. Der Begriff „Neureicher“ dürfte hier seine erste frühe Beschreibung bekommen.
Die dritte Geschichte ist die schönste. Quasi der Schelmenroman Rosa. Es ist die Geschichte von Maack, dem Frauenheld, der es faustdick hinter den Ohren hat. Er lässt die Frauen des Dorfes regelmäßig zu sich kommen, um ihm beim Bade Gesellschaft zu leisten. Benoni und alle Ehemänner wollen diesem verruchtem Treiben endlich ein Ende bereiten, stehlen eines Nachts die Badewanne und vergraben sie tief in norwegischer Erde. Die Folgen dieser Tat sind höchst amüsant.
Vierte und letzte Geschichte: die älteste und deshalb sehr vertraute von unerfüllter Liebe und ewiger Sehnsucht. Hamsuns Variante des ewig gleichen Themas ist deswegen nicht neu. Parelius und in gewisser Weise auch Edvarda, die Tochter Maacks, müssen sie leiden und verdienen damit unser Mitgefühl.

Feuchtgebiete von Charlotte Roche

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Charlotte Roche: Feuchtgebiete Hörbuch
Charlotte Roche: Feuchtgebiete Buch

Ein Aufschrei geht durch Deutschland! Eine 30jährige Frau, Mutter und Moderatorin, schreibt, so wie sie hofft, einen Porno. Sein Name: Feuchtgebiete. Die Presse überschlägt sich, darüber zu berichten. Die Meisten ekeln sich, manche bewundern den Mut der Debütantin, fast jeder fragt sich: wie viel davon hat mit der Autorin selbst zu tun. Die Antwort folgt auf dem Fuße: 70 Prozent. Natürlich wird nicht verraten, welche 70 Prozent.

Gut, weiter im Text. „Porno“ klingt nicht schlecht, „Charlotte Roche“ auch nicht, „Pamphlet gegen den Hygienewahn“ hört sich ebenfalls gut an. Also gut: 14,90 Euro investiert und los gelesen. Ab Seite 30 wird schnell klar, mit einem Porno hat das Ganze nur sehr wenig zu tun. Die Parallelen sind überschaubar: seichte Figuren, keine Handlung. Wer hofft, dieses Buch macht heiß, ist auf dem falschen Dampfer. Und nur, weil ständig von Muschi, Sperma, Analsex und so weiter die Rede ist, macht es den Monolog nicht besser. Ganz im Gegenteil. Die Provokation misslingt. Oder verstehe ich da etwas falsch? Ja, man schmeißt es in die Ecke, aber nicht, weil es einen wütend macht, sondern weil man es noch nicht einmal für würdig hält, es als Einschlafhilfe mit ins Bett zu nehmen. So ist das. Und: Frau Roche, ich mag Sie trotzdem!

Vanderbekes sonderbare Karriere, Strunks Humor und Das bin doch ich

Notiz 1:
Eigentlich wollte ich Birgit Vanderberkes „Die sonderbare Karriere der Frau Choi“ ausführlicher besprechen, aber am Ende hat mich die Lektüre so genervt, dass es nur zu einer Notiz reicht. Also: es fing interessant an und endete schwach. Der Sprachduktus ist eigenwillig, aber spätestens ab der 100. Seite langweilte auch er.

Notiz 2:
Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ ist irgendetwas zwischen Schamonis „Dorfpunks“ und „Kolks blonde Bräute“ von Frank Schulz. Sehr amüsant. Kein Lesebefehl, aber eine Empfehlung!

Notiz 3:
Mit Entsetzen habe ich von der Nominierung von Thomas Glavinics Roman „Das bin doch ich“ für den Deutschen Buchpreis gehört. Dieses Buch ist eine Zumutung. Ich bin enttäuscht.

Alessandro Piperno: Mit bösen Absichten

Mit bösen Absichten

Da gibt’s einen Italiener, 33 Jahre alt, Dozent für französische Literatur in Rom. Der schreibt ein Buch, sein erstes: Mit bösen Absichten. Eine Saga über eine jüdisch-römische Familie, ihren Auf- und Abstieg von den 30er Jahren bis hin zur Gegenwart. Der Mann heißt Alessandro Piperno. In der Fachwelt wird er schon als der neue Umberto Eco gehandelt. Dabei möchte er doch eher wie Marcel Proust klingen. Weiterlesen

Die Reiherkönigin von Dorota Maslowska

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2005 veröffentlicht Dorota Maslowska nach Schneeweiß und Russenrot ihr zweites Buch: Die Reiherkönigin. Im vergangenen Monat erschien der „Rap“ auf Deutsch. Olaf Kühl hat mit seiner Übersetzung das Unmögliche möglich gemacht: einen zutiefst verslangten polnischen Text in einen sehr interessanten deutschen transferiert.
Maslowska gewann mit dem Buch den Nike 2007, den wichtigsten polnischen Literaturpreis. Weiterlesen